Europa-Fan zu sein ist die Hölle

Europa-Fan zu sein ist die Hölle
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Da haben wir wieder die Schlagzeilen, die jedem Fan der Europäischen Union das Blut in den Adern gefrieren lassen: Polen und Ungarn erklären sich zu Siegern der Verhandlungen um den Rechtsstaatsmechanismus. Es sticht mir ins Herz. Wie schon so oft. Nun gut, als Fan weiß man, dass Leiden dazugehört. Okay, außer vielleicht als Fan vom FC Bayern. Als Fan der EU ist Leiden allerdings allgegenwärtig und kaum noch zu ertragen. Man braucht jeder Menge Selbstkontrolle, um nicht vor Schmerz aufzuschreien.


Bei der EU geht es nur um Kompromisse


Seit einigen Monaten beschäftige ich mich nun intensiver mit der EU und ihren Institutionen. Schon bei den ersten Gesprächen mit Abgeordneten (siehe EU-Abgeordneter Dr. Stefan Berger im Gespräch) habe ich lernen müssen, dass in der Europäischen Union der Kompromiss das Nonplusultra ist. Alles ist diesem Ziel untergeordnet, auch die Gefühle und der Gerechtigkeitssinn. Zumindest erscheint es mir als Beobachterin und Fremde im Politikbusiness so. Es geht sogar noch weiter. Es darf bei Beschlüssen nur Sieger und keine Besiegte geben. Ich will aber, dass der Rechtsstaat und der europäische Gedanke Sieger sind, und zwar eindeutig. Und ich möchte es herausschreien in die Welt: Seht her, die Populisten und Anti-Demokraten haben keine Chance. Aber man muss schon sehr genau hinsehen, um zu diesem Schluss zu kommen.

Kommt der Rechtsstaatsmechanismus?


Die Optimistinnen und Optimisten werden nun einwenden, dass es vielleicht demnächst so weit sein könnte. In zwei Jahren eventuell, wenn der EuGH eine Entscheidung zum vorgeschlagenen Mechanismus trifft, wozu er bisher noch nicht einmal eine Klage hat. Ja, nur zu gerne möchte ich mich an diesem Strohhalm festhalten, wohlwissend, dass in diesen zwei Jahren nichts unversucht bleiben wird, diese Hoffnung zu zerschmettern. Schließlich bin ich im Herzen Optimistin und nicht gewillt, die Hoffnung aufzugeben. Vielleicht geben mir ja die Briten neue Kraft.

Briten tröstet meine geschundene EU-Fanseele


Ja, liebe Briten, euer Schicksal ist für meine geschundene EU-Fanseele entweder ein weiterer Dolchstoß oder eine Stärkung des Hoffnungsschimmers. Klar, ihr habt mir durch euer Brexitvotum bereits erhebliche Schmerzen bereitet. Dass es unter ehemaligen Partnern und zumindest immer wieder dazu erhobenen Freunden in einem Jahr nicht zu einer Regelung kommen konnte und ihr sogar bereit seid, internationales Recht zu brechen, um euren Willen zu bekommen, ist wirklich ein Tiefschlag in die europäische Seele. Immerhin ist jetzt auf die letzte Minute eine Einigung zustande gekommen. Ich habe die 1264 Seiten nicht gelesen, aber was man so hört, ist das Ergebniss weit weg von den Fantasieversprechen eurer EU-Gegner. Nun ist es also bald so weit und euer Wunsch wird Realität. Als Freundin wünsche ich euch und uns, dass alles gut wird und wir schnell wieder richtige Partner werden. Aber ich will auch ehrlich sein, als Fan der europäischen Idee wünscht sich ein kleiner, zugegeben rebellischer Teil in mir euer desaströses Scheitern und die baldige Erkenntnis, dass es nur im Schoß Europas so richtig schön ist. Ich entschuldige mich in aller Form für diese unschönen, aber nun mal nicht zu unterdrückenden Wünsche.

Wird immer alles besser in der EU?


Meine erste Gesprächspartnerin in Sachen EU war Frau Harte vom hiesigen Informationsbüro. Sie sagte, dass in der EU immer alles besser werden würde. (siehe In Europa wird immer alles besser) Vielleicht sollte ich mir diese Aussage an den Spiegel kleben und immer darauf schauen, wenn ich wieder einmal Orbân & Co. in die Kamera grinsen sehe. Alternativ könnte ich mich natürlich auch den Meckerern anschließen, oder jenen, die es schon immer besser wussten und sowieso mit dem baldigen Scheitern rechnen. Doch ein echter Fan tut so etwas nicht. Genauso wie der Schalke-Fan stets vom Meistertitel träumt, will ich nicht aufhören, davon zu träumen, dass man den Autokraten in der EU irgendwann die Gelder wird streichen können und die Briten darum bitten, wieder Teil der EU zu werden. Ebenfalls genau wie der zitierte Fußballfan fordere ich aber auch die Profis auf, ihre Fans nicht zu vergessen und zumindest manchmal einfach nur auf Sieg zu spielen. Dafür nehme ich gerne Leiden in Kauf.

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