Sonntagsstückchen Nr. 4

Sonntagsstückchen Nr. 4
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Es ist Sonntagmorgen. Wie automatisch hast du nachgesehen, ob es ein neues Stückchen von mir gibt, nicht wahr? Zumindest stelle ich es mir so vor, also zerstöre meinen Traum nur nicht. Wie auch immer, jetzt bist du hier und kannst den nächsten Teil aus meinem aktuellen Projekt »Amanda und die Unmöglichkeit von Liebe« genießen. Ich wünsche dir viel Spaß.

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II

Die Tür öffnete sich knarzend. Dimitrij stellte die Reinigungsarbeiten an seinen Nägeln ein, steckte sein Messer weg und stand auf. »Guten Tag, Frau Madison.« Ich hatte Boris Kolesnikow erwartet, aber vor mir erschien ein jüngerer Mann und ließ sich von Dimitrij einen Stuhl heranschieben. Dann nahm er Platz. »Es tut mir leid, dass wir uns unter solchen Umständen kennenlernen, Frau Madison.«
Ich konnte ihn nur wortlos anstarren. Zum einen, weil ich keine Ahnung hatte, wer dieser Typ war, und zum anderen, weil er so verdammt gut aussah. Er fuhr fort. »Mein Name ist Sascha Kolesnikow. Meinen Vater haben Sie ja bereits kennengelernt.« Ich musste kurz die Augen schließen, um wieder zu mir zu kommen und mir die aktuelle Situation bewusst zu machen. »Das ist Freiheitsberaubung«, platzte es aus mir heraus und ich war überrascht, über den Anteil Verzweiflung, der in meiner Stimme lag.
»Ich bedauere, dass Sie es so sehen. Ich würde es lieber als nachdrückliche, aber wohlgemeinte Einladung sehen.«
»Und das?« Ich rüttelte mit meinen an der Stuhllehne befestigten Händen.
»Das ist nur zu Ihrer Sicherheit. Wir wollten nicht, dass Sie in völliger Missdeutung der Situation unbedachte Handlungen tun, die Ihnen schaden könnten.« Er nickte Dimitrij zu. Der zückte erneut sein sehr großes Messer. Ich wollte etwas sagen. Ich untertreibe, ich wollte eher panisch schreien, aber mir blieb die Stimme im Hals kleben. So konnte ich nur beobachten, wie sich der Killer mit dem Messer näherte. Statt es aber in Richtung meiner Kehle zu bewegen, machte es sich am Klebeband zu schaffen und erlöste mich mit einer kurzen Bewegung von meinen Fesseln. Ich rieb mir die Handgelenke und bewegte meine Füße.
»Noch einmal, ich bedauere die Umstände, Frau Madison und hoffe, Sie können mir irgendwann verzeihen.« Der Juniormafiaboss sah mich an und ich wendete meinen Blick von meinen Handgelenken ihm zu. »Wie können Sie denken, Sie könnten mich entführen, mich in einem dunkelen Verlies festhalten mit diesem, diesem …« Ich wedelte mit meiner Hand in Richtung Dimitrij. »Egal, wie können Sie denken, ich würde das einfach hinnehmen? Sie gehören hinter Gittern! Ihr Vater, Sie, alle.«
Sascha Kolesnikow seufzte und nickte Dimitrij zu. Der nickte zurück.
»Was ist?«, fragte ich. »Sie denken doch nicht im ernst, ich würde es einfach alles auf sich beruhen lassen?«
Der Sohn des Hauses schüttelte sanft den Kopf. »Frau Madison, das ist wirklich sehr bedauerlich. Meine Schwester liebt Ihre Bücher so sehr. Sie wäre unendlich traurig, wenn es keine weiteren Werke ihrer Lieblingsschriftstellerin geben würde. Und wenn Vanessa traurig ist, dann ist auch mein Vater traurig. Und wenn er traurig ist… Bitte überdenken Sie Ihre Haltung noch einmal. Ich kann Ihnen versichern, es ist nicht das, was Sie möchten.« Seine Stimme war ruhig und fast freundschaftlich. Daher verstand ich zuerst nicht, was er gesagt hatte. Gerade als ich nachfragen wollte, was er wohl gemeint hatte, wurde es mir klar. Die Erkenntnis ließ mein Blut in den Magen sacken und mir wurde schwindelig. »Oh.« Mehr konnte ich nicht artikulieren. Dann begann ich zu wimmern. Es ist mir peinlich, aber ich war es nicht gewohnt, dass man mir drohte, mein Leben jäh zu beenden. Die einzige Reaktion, die mir in diesem Moment in den Sinn kam, war Wimmern. Wäre ich Thrillerautorin gewesen, hätte ich mich zuvor vielleicht zumindest theoretisch einmal mit einer solchen Situation auseinandergesetzt. Aber meine Helden kamen niemals in solche Situationen. Sie verstauchten sich höchstens mal den Knöchel, wenn sie nach einem langen Ausritt von ihrem Pferd abstiegen. Sie saßen niemals in kalten, muffigen Verliesen, die merkwürdigerweise nach Wein rochen, und sahen sich einem Killer und dem Sohn eines fiesen Mafiabosses gegenüber, die ihnen das Ende ihres Lebens ankündigten. »Frau Madison, es wird nicht soweit kommen.« Sascha Kolesnikow tätschelte meine Hand und ich zuckte erschrocken zurück. »Ich bin mir sicher, Sie haben den Ernst der Situation verstanden, nicht wahr?«, hängte er an. Ich nickte. »Gut«, fuhr er fort. »Fühlen Sie sich in der Lage, mit mir die Details unseres Arrangements zu besprechen?«
Details? Was meinte er mit Details? Die waren doch klar. Ich machte, was er wollte und er ließ mich am Leben. »Welche Details?« Ich war überrascht, dass meine Stimme wieder funktionierte.
»Wenn Sie mir versprechen, keine unbedachte Handlung zu begehen, können wir diesen unwirtlichen Ort verlassen und ich zeige Ihnen Ihr Zimmer. Meinen Sie, das ginge?« Sascha erhob sich. Ich tat es ihm vorsichtig nach und spürte, wie meine Gelenke bejubelten, dass sie wieder genutzt wurden.

»Sehr schön. Kommen Sie«, befahl er und ich machte einen ersten Schritt in seine Richtung, streng beäugt von Dimitrij. Rechnete er damit, ich würde über seinen Schützling herfallen und ihn überwältigen? Hätte er mich je bei einer Bauch-Beine-Po-Übung im Fitness-Studio gesehen, wüsste er, dass ich niemals zu einer schnellen, sportlichen Bewegung fähig war. Ich konnte nur langsam dem Kerl folgen und mit ihm durch die Tür hinaus gehen in das Kellergewölbe. Nun wurde mir klar, warum ich ständig den Geruch von Wein um die Nase hatte. Mein Verlies war ein Seitenraum des Weinkellers, in dem wir nun standen. Ich musterte die imposante Anzahl von Weinflaschen, die dort lagerten. Dimitrij gab mir einen kleinen Schubs, weil ich kurz stehengeblieben war. Ich zuckte zusammen und machte einen größeren Schritt, um wieder zum Sohn des Hauses aufzuschließen. Der öffnete eine weitere Tür, hinter der eine Treppe nach oben führte. Nur wenige Stufen trennten mich vom Tageslicht. Der Gedanke löste immense Glücksgefühle in mir aus. Es war beachtlich, wie sich Relationen verschieben konnten, wenn man nur einmal um sein Leben bedroht worden war. Sascha Kolesnikow öffnete die Tür am Ende der Treppe und tatsächlich umfing uns strahlender Sonnenschein. Ich musste meine Augen zusammen kneifen, um sie langsam an das Licht zu gewöhnen. Als ich sie langsam wieder öffnete, entstanden vor mir die Umrisse einer Statue. Die wiederum schmückte das untere Ende einer imposanten, geschwungenen Treppe. Ich blickte mich um und sah mich im Eingangsbereich einer großen Villa oder gar eines Schlosses, wie es die Figuren in meinen Romanen bewohnten.

»Kommt es Ihnen bekannt vor?« Sascha Kolesnikow grinste mich an. Ich runzelte die Stirn. Was meinte er?
»Kommen Sie. Sie müssen es doch erkennen, Frau Madison.«
Ich verstand nicht und blickte mich ratlos um. Zwei weiße Statuen schmückten den Treppenaufgang. An den Wänden hingen Gemälde von diversen Herren in den verschiedenen Epochen. Am oberen Ende des Treppenaufgangs konnte ich ein Geländer und einen Rundgang erkennen, von dem verschiedene Türen abgingen. Er hatte recht. Es kam mir bekannt vor, obwohl ich mir sicher war, nie vorher in einem solchen Schloss, oder was immer es war, gewesen zu sein. Aber dann blitzte ein Name in meinem Hirn auf. »Hillsborough Castle«, stieß ich hervor.
Sascha Kolesnikow grinste. »Sie hätten nicht gedacht, dass wir es finden würden, nicht wahr?«
Ich starrte ihn an. Natürlich hätte ich nicht gedacht, dass jemand das Schloss finden würde, in dem Adriana, die Heldin aus Rote Rosen für den Lord lebte. Denn dieses Schloss gab es gar nicht. Ich hatte mir alles ausgedacht. Ich drehte mich um die eigene Achse, um die Eingangshalle in allen Einzelheiten zu betrachten. Es war Hillsborough Castle. Wie konnte das sein? Und würde als Nächstes Lord Huddleston die Treppe hinunter kommen?

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Pseudonyme küsst man nicht

Das Buch zum Sonntagsstückchen

Du glaubst nicht an die Liebe? Dann rechne mit Überraschungen!
»Rote Rosen für den Lord« »Ein Schloss für Violetta« – so heißen die Liebesromane, die die Autorin Abigail Madison ihrer schmachtenden Fangemeinde präsentiert. Eine begeisterte Leserin will ihre Lieblingsautorin – sozusagen die Expertin für die Liebe – zu ihrer Hochzeit einladen. Doch das geht nicht, denn Abigail Madison gibt es gar nicht.
In Wahrheit produziert die mehr als abgeklärte Amanda Schneider die Schmonzetten unter Pseudonym, denn sie möchte ihre wahre Identität nicht preisgeben. Nur hat Amanda Schneider nicht mit dem Vater der Braut gerechnet, der seiner Tochter keinen Wunsch abschlagen kann. So sieht sich Amanda plötzlich gefesselt in einer Villa einem russischen Bodyguard gegenüber. Die Auseinandersetzungen mit dem verdammt gutaussehenden Bruder der Braut gestalten sich mehr als hitzig, bis sogar die wenig romantisch veranlagte Amanda einsehen muss: Die wahre Liebe gibt es doch.

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